Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel:
Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort. Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.
Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig.
Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
(Lk 18, 9-14: Evangelium zum 30. Sonntag, Lesejahr C, 23.10.2022)
Eine Erzählung über das Beten. Vielleicht seufzen Sie da, mich eingeschlossen: Beten, tue ich das überhaupt? Kann ich das noch?
Wo und wann haben wir beten gelernt? Wahrscheinlich als Kinder, wenn uns Mutter oder Vater ein Abendgebet vorgesprochen haben. Wir konnten es bald auswendig. Manche dieser Gebete kann man singen: „Guten Abend, gut Nacht, mit Rosen bedacht, mit Näglein bedeckt, schlupf unter die Deck‘. Morgen früh, wenn Gott will, wirst du wieder geweckt.“ Oder ein anderes Gute-Nacht-Lied.
Dann kamen im Kindergarten, in der Schule die Grundgebete des Christentums dazu: Das Ehre sei dem Vater, das Vater Unser. Als Katholiken, wie man das Kreuzzeichen macht, als evangelische Christen die Texte etlicher Kirchenlieder.
Aber all diese Gebete sind vorformulierte Gebete. Wir sprechen sie in bestimmten Situationen – z.B. am Bett eines schwer Erkrankten – laut oder leise mit. Damit es persönliche Gebetsworte werden, müssen wir eigene Formulierungen verwenden: solche, die zu uns passen, die unser augenblickliches Gefühl ausdrücken, mit Worten, die die unsrigen sind.
In der Geschichte, die Jesus erzählt, gibt er die persönlichen Gebete zweier Männer wieder. Da ist zunächst der religiöse Experte, der Kenner der Tora – jemand, der sein Leben danach ausrichtet und auch anderen ehrenamtlich Glaubensunterricht erteilt. Sicher ist er, schon durch die Einleitung, als selbstgerecht gekennzeichnet – und das lehnen wir ab.
Aber schauen wir genauer hin: Ähnelt sein Beten nicht den vielen Ablenkungen, die wir aus unserem Gottesdienstbesuch kennen? Da sehen wir jemand, der uns an unsere Nachbarin oder unseren Arbeitskollegen erinnert, und wir sind sofort in Gedanken bei unseren Kämpfen, die wir mit ihnen ausfechten, unseren Vorwürfen an sie, unseren Unterstellungen.
Auf jeden Fall sind wir nicht bei uns selbst und bei unserem Aufschauen zu Gott, sondern bei anderen, denen wir etwas vorwerfen, sie be- und verurteilen; zumindest vergleichen wir uns mit ihnen – und schauen uns nicht wirklich selbst an und schauen nicht vertrauensvoll zu Gott auf.
Das tut der Steuereintreiber, der mit römischer Polizeiunterstützung als Privatunternehmer arbeitete und sich dabei ordentlich bereicherte. Deshalb war er ja exkommuniziert, aus der Glaubensgemeinde ausgeschlossen. So stellte er sich auch nur auf einen Stehplatz ganz hinten im Tempel hin.
Aber er war ganz bei sich, fühlte in sich hinein und formulierte: Ich weiß, dass ich Unrecht getan habe. Doch sei mir gnädig Gott. Ja, er war ganz bei sich – nicht bei den anderen, die er da vor sich sah – und bei Gott, auf dessen Erbarmen er vertraute.
Mir scheint, es war ein authentisches Beten. Jesus sagt, er kehrte als ein Gerechter nach Hause – nicht weil er jetzt plötzlich ein guter Mensch geworden wäre, so etwas dauert meistens länger, sondern weil er sich selbst und Gott begegnet war, ehrlich mit sich und Gott gesprochen hatte.
Aber vielleicht sagen Sie: Mit ausdrücklichen Worten bete ich überhaupt nicht mehr. In mir ist es oft so stumm. Ich finde keine Worte mehr und schweige lieber. Nun, ich will aus Ihnen, aus mir, jetzt keine großen Beter machen, aber vielleicht sind wir da auf dem Weg des inneren Betens. Das praktizieren wir, wenn wir uns selbst wahrnehmen, ganz bei uns sind, und wenn wir „unser Herz zu Gott erheben“.
Beten heißt, sein Herz zu Gott zu erheben, so lautet eine Definition von Gebet. Und das kann man auch ohne Worte. Man muss dazu lediglich kurz innehalten, die Aktivität unterbrechen, zum „Himmel“ aufschauen oder in die Tiefe der Wirklichkeit hinein fühlen. Manche von uns praktizieren das methodisch in einer eigenen Meditationszeit. Aber die meisten von uns halten doch immer wieder inne, fühlen sich und wissen sich in einer wortlosen Beziehung zu jener anderen Wirklichkeit, jener „umfassenden Liebe“, die wir „Gott“ nennen.
Vielleicht gibt das folgende Zitat des dänischen Philosophen und Theologen Sören Kierkegaard die Richtung an, in der wir da unterwegs sind:
„Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.
Zuletzt wurde ich ganz still.
Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
ich wurde ein Hörender.
Ich meinte erst, Beten sei Reden.
Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören,
beten heißt still werden und still sein und warten,
bis der Betende Gott hört.“
Es geht weniger um das Hören von konkreten Worten. Gott redet ja in Schweigeworten, in Andeutungs-Zeichen aus jener anderen Wirklichkeit, die hinter der Oberfläche der Welt liegt. In diese Dimension gilt es hinein zu hören, die Ohren zu spitzen – mit großem Vertrauen und dem Wissen, dass Gott uns ganz persönlich anschaut, schweigend anspricht, uns so wie wir sind, und als einmalige Persönlichkeiten annimmt.
Das wäre dann inneres Beten. Trauen wir es uns zu! Sehen wir hin, wie es uns immer wieder einmal gelingt – mit Gottes Hilfe; denn Gott ist in uns und führt unsere Aufmerksamkeit für uns selbst und für Ihn.
(Rüdiger Funiok)
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