Ein Wunder ist etwas Erstaunliches, Außergewöhnliches. Was konkret als Wunder empfunden wird, ist von Mensch zu Mensch verschieden: die Gesundung nach einer Krebserkrankung, auch kleine Dinge wie ein schöner Sonnenuntergang – und natürlich im politischen Bereich ein Friedensschluss nach einem tödlichen Krieg. Die Lage der Welt ist gerade so düster, dass wir uns nach solchen Wundern sehnen – für Gaza, die Ukraine, den Sudan ....
Mascha Kaléko (1907 – 1974), die als Jüdin 1938 emigrieren musste, schließt ihr Gedicht „Rezept“ mit der Strophe: „Zerreiß deine Pläne. Sei klug/ und halte dich an Wunder./ Sie sind lang schon verzeichnet/ im großen Plan./ Jage die Ängste fort/ und die Angst vor den Ängsten.“[1]
Heribert Prantl schrieb in seiner Kolumne in der Süddeutschen Zeitung vom 16.8.2024: „Wunder in der Politik sind nicht kalkulierbar, aber es gibt sie. Sie widersprechen der Behauptung, dass alles immer schlechter wird.“
Und er nennt als aktuelles Beispiel die Berufung des 84-jährigen Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus an die Spitze der Übergangsregierung von Bangladesch. Als Ökonom hatte er ab 1983 dafür gesorgt, dass genossenschaftlich organisierte Dorfbanken Mikrokredite für Kleinunternehmen vergaben, hauptsächlich an Frauen. Und begabte Jugendliche aus der Armenschicht bekamen Bildungskredite. Sie bilden heute die Mehrheit der Studierenden und haben durch ihre Proteste bewirkt, dass die Autokratin Sheikh Hasina gehen musste.
In seiner Kolumne heißt es weiter: „Wunder halten nicht ewig. Sie nutzen den Riss in der kontinuierlichen Katastrophe. Dort sprühen und funkeln sie dann wie Wunderkerzen, wie Sterndlwerfer. Dann erlöschen sie, und es wird wieder finster – so es nicht gelingt, in der funkelnden Phase für Licht zu sorgen, das von Dauer ist.“
Mascha Kaléko konnte ihre Sehnsucht nach Wundern ihr Leben lang aufrecht erhalten:
Die frühen Jahre
Ausgesetzt
In einer Barke von Nacht
Trieb ich
Und trieb an ein Ufer.
An Wolken lehnte ich gegen den Regen.
An Sandhügel gegen den wütenden Wind.
Auf nichts war Verlaß.
Nur auf Wunder.
Ich aß die grünenden Früchte der Sehnsucht,
Trank von dem Wasser das dürsten macht.
Ein Fremdling, stumm vor unerschlossenen Zonen,
Fror ich mich durch die finsteren Jahre.
Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.[2]
[1] Mascha Kaléko: Sämtliche Werke und Briefe in vier Bänden. München: dtv 2021, Bd. I, S. 307
[2] Bd. I, S. 669.
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