Emotionen zu zeigen, gehört heute zu vielen öffentlichen Protesten. Sie verleihen den politischen Forderungen persönlichen Nachdruck: zum Beispiel der Forderung nach Anerkennung der eigenen Würde oder der Gleichberechtigung benachteiligter Gruppen, der Forderung nach Vermeidung unnötiger Eingriffe in die Natur bei öffentlichen Bauvorhaben. Diese Proteste und ihre emotionale Begleitung sind legitim.
Anders verhält es sich mit den Ressentiments. Sie bestehen aus wiederholten Äußerungen von Hass gegenüber Kollektivfiguren, die als fremd und feindlich konstruiert werden. Der Hass wird ohne inhaltliche Begründung, ohne Berücksichtigung anderer Erfahrungen, ohne Distanz zur eigenen Emotion geäußert. Es ist diese Wut, die sich zum Beispiel bei den Bauernprotesten gezeigt hat, aber auch bei vielen antisemitischen Protesten unserer Tage.
Der deutsche Philosoph Max Scheler (1874 – 1928) hat diesem Gefühlsknäuel in seiner, 1912 erstmals veröffentlichten Schrift „Das Ressentiment im Aufbau der Moralen“ einen kritischen Spiegel vorgehalten. Er betonte, „daß es sich im Ressentiment um das wiederholte Durch- und Nacherleben einer bestimmten emotionalen Antwortsreaktion gegen einen anderen handelt; … daß die Qualität dieser Emotion eine negative ist, d.h. eine Bewegung der Feindlichkeit enthält“ und sich im deutschen Wort „Groll“ erfassen lässt (Ausgabe 1978, S. 2).
Es geht um ein wiederkäuendes Grollen „mit der charakteristischen Bitterkeit einer vom Kauen ausgelutschten Speise“, so die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Cynthia Fleury in ihrem Buch „Hier liegt Bitterkeit begraben. Über Ressentiments und ihre Heilung“ (2023, S. 19). Mag sich die Wut anfangs auf eine neiderzeugende Situation oder jemand Bestimmten bezogen haben, so wird der Adressat mit fortschreitendem Ressentiment unbestimmter, der Hass globaler.
Carolin Emcke führt in ihrer SZ-Kolumne (vom 9.3.2024) weiter aus: „das Ressentiment ist das, was eine Person oder Gruppe im emotionalen Loop gefangen hält, das Ressentiment wiederholt nur mehr den Zorn, es lädt sich an der eigenen Erregung auf. Das Ressentiment beschädigt nicht nur diejenigen, gegen die es sich richtet, sondern vor allem auch die in ihm gefangen zurückbleiben. Die Bitterkeit ist nicht nur eine, die sich auf das Gemeinwesen auswirkt, sondern auf die Verbitterten selbst. Das Ressentiment beraubt diejenigen, die ihm unterliegen, ihrer Handlungsfähigkeit. Das Ressentiment stellt sich allem, was eine Lösung sein könnte für die realen, drängenden ökonomischen, sozialen, politischen Nöte, in den Weg.“
Dass Ressentiments systematisch geschürt und verfestigt werden, zeigen die Reden eines Björn Höcke oder Donald Trump in unserem Superwahljahr 2024. „Geheilt“ werden können Ressentiments vielleicht individuell durch Therapie (so Cynthia Fleury). Auf der gesellschaftlichen Ebene bleibt nur die wiederholte Einladung zum demokratischen – und nach Regeln ablaufenden – Streitgespräch. Wesentlich dafür ist die Bereitschaft, einander ohne Vorverurteilung zuzuhören, nach Erfahrungen zu fragen, die die andere Seite gemacht hat, und ihre Besorgtheit ernst zu nehmen. Vielleicht kann man dann gemeinsam nach Lösungen suchen – vorausgesetzt, die Menschenrechte aller werden dabei geachtet.
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