top of page

Dorothee Sölle



Am 27. April ist der 20. Todestag von Dorothee Sölle, die in einer Tagung, in der sie einen Vortrag zum Thema Glück hielt, einen Herzinfarkt erlitt und kurz darauf in der Klinik verstarb.

Für mich war sie seit meinen Jugendtagen eine meinen kritischen Fragen standhaltende Theologin, die meine Gebete mit ihrer poetischen und klaren Sprache inspirierte. Als ich 1984 als BDKJ-Diözesanvorsitzende im Rahmen des Katholikentags in München den Stadtteil der Jugend in Haidhausen verantwortete, veranstaltete ich trotz erheblicher Widerstände der katholischen Leitungsgremien mit ihr und ihrem Mann Fulbert Steffenski ein Politisches Nachtgebet in der Kirche St. Johann Baptist. Für mich war sie eine Heilige, die es verstand Gott und die Welt mit all ihren Widersprüchen und Abgründen zu verbinden.

Es existiert eine Fülle von Publikationen von ihr, die mich heute noch genauso aktuell ansprechen wie damals. Einige Texte, die mich besonders berühren, will ich hier mitteilen:


Unterbrechung

Du sollst dich selbst unterbrechen. Zwischen Arbeiten und Konsumieren soll Stille sein und Freude, dem Gruß des Engels zu lauschen: Fürchte dich nicht! Zwischen Aufräumen und Vorbereiten sollst du es in dir singen hören, das alte Lied der Sehnsucht: Maranata, komm, Gott, komm! Zwischen Wegschaffen und Vorplanen sollst du dich erinnern an den ersten Schöpfungsmorgen, deinen und aller Anfang, als die Sonne aufging ohne Zweck und du nicht berechnet wurdest in der Zeit, die niemandem gehört außer dem Ewigen.


Die Auferstehung ist längst schon vor dem Tod sichtbar, in dieser anderen Art zu leben.

Jesus glaubte vor allem an ein Leben vor dem Tod, und für alle. Die Auferstehung, dieser Funke des Lebens war schon in ihm. Und nur deswegen, wegen dieses Gott-in-ihm, konnten sie ihn nicht umbringen. Es funktionierte einfach nicht. Und auch heute gelingt es den Mächtigen nicht, diese Liebe zur Gerechtigkeit, dieses nachhaltige Interesse an den Letzten auszulöschen.[1]


Das Kreuz zu umarmen ist eine christliche Geste, die das Leben wählt. Sie heißt, das Kreuz, die Schwierigkeiten, die Erfolglosigkeit, die Angst allein dazustehen, in Kauf zu nehmen. Die Tradition hat uns nie einen Rosengarten versprochen. Das Kreuz zu umarmen bedeutet heute, in den Widerstand hineinzuwachsen. Und das Kreuz wird grünen und blühen. Wir überlieben das Kreuz. Wir wachsen im Leiden. Wir sind der Baum des Lebens.[2]


Ein naiver Glaube an die Schöpfung ist uns nicht mehr möglich. Das Schicksal der Erde steht auf dem Spiel, und wir können uns nicht damit beruhigen, es läge allein in Gottes Hand. Das Schicksal der Erde liegt gleichermaßen in unserer Hand, und nur eine Gemeinschaft von Menschen, die Widerstand leisten, kann die Vernichtung der Möglichkeiten, zu lieben und zu arbeiten, verhindern. Gott, die das Universum geschaffen hat und auch unseren kleinen Planeten, Gott, die uns aus jeglicher Sklaverei befreit - Sie ist dieselbe, die Tote zu neuem Leben erweckt, so daß auch wir, die wir tot und ohne Hoffnung sind, zu Menschen des Widerstands und zu Liebhabern des Lebens werden können. "Liebhaber des Lebens" (Weisheit Salomonis 11, 26) ist ein alter Name für Gott. Es soll auch unser Name sein, jetzt und immerdar.[3]


Eine junge Frau fragte mich einmal: "Ist für Sie mit dem Tod alles aus?" Ich antwortete: "Es kommt darauf an, was Sie unter >alles< verstehen. Wenn Sie für sich >alles< sind, dann ist für Sie alles aus. Wenn nicht, dann geht alles weiter, >mer läbn ewig<, wie ein schönes jiddisches Lied singt.

Die individuelle geistige, seelische und körperliche Existenz endet mit dem Tod. Das ist kein Gedanke, der mir Schrecken einflößt, dass ich ein Teil der Natur bin, dass ich wie ein Blatt herunterfalle und vermodere, und dann wächst der Baum weiter, und das Gras wächst, und die Vögel singen, und ich bin ein Teil dieses Ganzen. Ich bin zu Hause in diesem Kosmos, ohne dass ich jetzt meine Teilhaftigkeit, die ich vielleicht siebzig Jahre lang gehabt habe, weiterleben müsste.[4]

[1] D. Sölle, Es muß doch mehr als alles geben – Nachdenken über Gott, Hoffmann und Campe, .135 [2] Dorothee Sölle, Luise Schottroff, Jesus von Nazareth, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2000 [3] Dorothee Sölle, Lieben und Arbeiten, Hoffmann und Campe, Hamburg 1999, Seite 235 [4] Den Text schrieb Dorothee Sölle (1929-2003) in ihrem letzten Buchmanuskript; die Familie veröffentlichte es unverändert nach ihrem Tod: "Mystik des Todes" (Kreuz Verlag, 2003

bottom of page