
Thomas von Aquin ist der bedeutendste Vertreter der Scholastik, der Philosophie und Theologie des Mittelalters. 1225 südlich von Neapel geboren, starb er 1274 in Frankreich. Der Gedenktag des Heiliggesprochenen ist der 28. Januar.
Sein Einfluss auf das christliche Denken kann nur mit dem des Augustinus (354 – 430) verglichen werden. Augustinus hatte das Christentum vom Platonismus her interpretiert und damit die christliche Philosophie über Jahrhunderte hinweg geprägt. Im Hochmittelalter kam der zweite große Denker der Antike ins Spiel: Aristoteles. Es war Thomas von Aquin, der diese Herausforderung annahm – nach dem Beispiel von Albertus Magnus, bei dem er in Paris studierte. Beide waren Angehörige des jungen Dominikaner-Ordens. Sie lehrten an der ersten Universität Europas, in Paris, eine Philosophie und Theologie, die – trotz aller kirchlichen Kontrolle – rational zu argumentieren begann.
Was ist das grundlegend Neue bei Thomas? Für den Platonismus besteht die eigentliche Wirklichkeit aus den Ideen. Unsere konkrete Erfahrungswelt dagegen ist eher ein Nichtsein, ein vergängliches Abbild, ein Hinweis auf das Jenseits. Dementsprechend kann Erkenntnis nur durch Abkehr von der sinnlichen Welt geschehen. Kehre in dich selbst zurück, lautete das Motto des Augustinus.
Thomas geht den umgekehrten Weg und folgt damit Aristoteles. Gehe nach draußen! Von der Sinneserkenntnis gelangen wir zur Wahrheit. Dabei sind es gerade theologische Gründe, die Thomas zu diesem Weg führen. Wenn die Welt von Gott geschaffen ist, dann muss sie für sich Wert besitzen und die Vernunft des Menschen von der Schöpfung zu Gott gelangen können.
Wo dachte Thomas von Aquin schon „modern“? Thomas misst dem Gewissen des Einzelnen große Bedeutung bei. Damit weist sein Denken bereits in die Neuzeit, denn im antiken Denken hatte noch das Allgemeine Vorrang vor dem Einzelnen. In der Philosophie des Thomas besitzt der Einzelne Vorrang vor dem Allgemeinen.
Das Hauptwerk des Thomas von Aquin ist seine unvollendete „Summe der Theologie“. In der Textgestaltung folgte er der damaligen Lehrtätigkeit. Vormittags fand die lectio (Vorlesung) statt. Der Magister – heute würden wir sagen Professor – las aus einer handgeschriebenen Sentenzensammlung vor und kommentierte einzelne Sätze. Nachmittags führte er mit seinen Studenten – damals noch alles junge Kleriker – eine drei- bis vierständige Disputation durch. Zu Beginn formulierte er aus dem Vormittagsstoff eine Quaestio (These). Dieser musste von ausgewählten Studenten widersprochen werden; andere mussten sie verteidigen.
Und das mit rationalen Argumenten. Man musste die These nochmals wiederholen und dann Distinktionen formulieren – also Rücksichten, unter denen man der These zustimmen konnte und wo sie zu negieren war. Diese Regularien sicherten ein diszipliniertes Streiten – heute erleben wir dagegen oft in Talkshows, dass die Behauptung des Anderen verdreht wird. Und man folgte der Methode von Wissenschaft: Nicht die bloße Berufung auf Autoritäten, sondern das rationale Argumentieren führt zur Annäherung an die Wahrheit. Ganz schön modern, dieses Hochmittelalter. Und ganz schön zeitlos, dieser Thomas von Aquin mit seiner „Summe“.
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